Hier mal was Lustiges. Ihr könnt nicht nur nachlesen, sondern euch auch vorlesen lassen.
Vorlesen lassen:
Und falls ihr es doch lieber lesen wollt:
Ich war berüchtigt dafür, auf unseren Reisen in Frankreich immer die besten Lokale ausfindig zu machen. Deshalb folgte mir eine Horde Mitreisender auf dem Fuß quer durch Montpellier. Ich wanderte von Speisekarte zu Speisekarte und studierte Gerichte und Preise gleichermaßen. Immerhin lastete die Erwartung eines unvergesslichen kulinarischen Erlebnisses auf mir. Nach und nach verließen wir das Stadtzentrum und gelangten in abgelegenere Gefilde.
Meine Freundin schloss auf und keuchte. “Kannst du dich nicht endlich mal entscheiden? Mir tun die Füße schon weh.“
„Und ich habe Riesenhunger. Wie ist es denn mit dem hier?“ Die ältere Frau Huber deutete auf den Aushang eines Lokals und runzelte die Stirn. Hinter ihr versammelte sich der Rest der Meute und sah mich gespannt an.
Das hätte ich fast übersehen. Außer der Speisekarte deutete nichts darauf hin, dass es sich hier überhaupt um ein Lokal handelte. Ich konnte keine Leuchtreklame oder dergleichen entdecken, was den Namen der Lokalität offenbaren würde. Aber die Karte sah gut aus.
**Bouillabaisse de Marseille** oder **Ratatouille Provençale** oder **Salade Niçoise** für die Vorspeise. Ich freute mich jetzt schon.
**Cassoulet Toulousain** oder **Bœuf Bourguignon** oder **Poulet Basquaise** für den Hauptgang. Gut dass wir keinen Vegetarier dabei hatten.
**Tarte Tatin** oder **Crème Brûlée à la Lavande** oder **Pots de Crème au Chocolat**
Mit einer Flasche Wasser, einem Aperitif, dem richtigen Wein und einem Kaffee versprach das eine wundervolle Mittagspause. Ich nickte und deutete auf die schlichte Holztür.
Frau Huber trieb der Hunger trotz ihrer Gehbehinderung allen voran, ich folgte. Plötzlich stoppte sie und ich rannte sie
fast um. Sie drehte sich zu mir um und flüsterte mit einem besorgten Gesichtsausdruck. „Hier bleibe ich nicht.“
Ich sah mich um. Wir waren wohl die einzigen Gäste. Für ein Restaurant war die Räumlichkeit ungewöhnlich eingerichtet. Die Tische waren in regelrechten Séparés untergebracht, mit plüschbezogenen Bänken und rosafarbenen Lampen. Das schien mir nicht unbedingt reinigungsfreundlich zu sein.
„Diesmal hast du aber doch daneben gelangt.“ Die Schneiders waren auch stehen geblieben. „Ist das hier ein Puff oder was?“ Er prustete. Seine Frau stieß ihm den Ellbogen in die Rippen.
Eine Dame, die durchaus seriös wirkte, betrat den Raum und ich wagte zu fragen. „Pardon, Madame. Est-ce qu’on peut manger ici?”
Sie nickte.
“Maintenant?”
Sie nickte wieder, schien sich aber auch nicht über die Frage zu wundern und deutete auf einen großen Tisch.
Wir setzten uns und die Dame legte Gedecke auf, brachte Brotkörbchen und Wasser, wie man es gewohnt war. Wir studierten nochmal die Speisekarte und der Bestellmarathon ging los. Jeweils drei Gerichte, die ich nach bestem Wissen und Gewissen übersetzte und beschrieb. Als Getränk den einfachen Vin de table. Nach den ersten drei Bestellungen war ich schon nass geschwitzt. Die Bedienung auch. Langsam löste sich die Stimmung.
Dann kam die Reihe an Schneiders. „Was haben die denn für Weine?“ Nach langem Hin und Her entschied sich Herr Schneider für einen Burgunder. Die Vorspeisen mochte er nicht. Außer Suppe. Aber nicht Bouillabaisse. Da ist ja Fisch drin. Ob es denn keine andere Suppe gäbe. Man einigte sich auf eine Kressesuppe. Oder vielleicht doch den Salat?
Die ersten der Gruppe begannen zu kichern.
Auch mit der Hauptspeise war es ein langes Hin und Her. Gott sei Dank konnten wir das Dessert später wählen. Die Bedienung atmete erleichtert auf und wollte sich umdrehen, da hob Herr Schneider die Hand. „Moment, könnten Sie noch mal vorlesen, was wir bestellt haben? Vielleicht möchte ich doch lieber was anderes.“
Jetzt brach der Rest der Mannschaft in schallendes Gelächter aus. Die Bedienung riss den Bestellzettel ab, zerknüllte ihn und warf ihn über die Schulter. Sie notierte mit einer Engelsgeduld alles neu.
Der Vin de table schmeckte vorzüglich. Zwanzig Minuten später stand vor jedem von uns ein Amuse gueule, der Gruß aus der Küche: Winzige Pastetchen, mit Lauch gefüllt. Wenn hier tatsächlich die Damen der Nacht arbeiteten, dann ernährten sie sich angemessen.
Wir haben wunderbare drei Stunden in dem Lokal verbracht, ein Gericht war leckerer als das andere und wir haben viel gelacht, selbst die Bedienung, der wir am Ende ein großzügiges Trinkgeld überließen.
Der wundervolle Nachmittag ist uns allen viele Jahre im Gedächtnis geblieben.