Von Beate Seim
Trude besuchte jede Woche ein Fitness-Center. Sie fühlte sich dort wohl – „und außerdem tut es meinen alten Knochen gut“, behauptete sie. Amüsiert beobachtete sie, wie die anwesenden jungen Damen um die Aufmerksamkeit des Besitzers wetteiferten. Dieser sah aber auch verdammt gut aus, das musste man zugeben: stolze Figur, braun gebrannt, schwarzes Haar und braune Augen – es stimmt einfach alles.
Eines Nachmittags, als Trude das Studio verließ, kam Marc – so hieß der Traummann – lächelnd auf sie zu und sagte: „Darf ich Sie zum Essen einladen?“
Trude blieb vor lauter Schreck die Sprache weg, was nur selten bei ihr geschah. Lediglich ein zögerndes Nicken war daher ihre Antwort.
„Ist Ihnen Mittwochabend angenehm, dann treffen wir uns um 19 Uhr vor dem Hotel Adler?“
„Ja, gerne“ erwiderte Trude „und vielen Dank“. Zu Hause rief sie sofort ihre beste Freundin Leni an, um diese Neuigkeit weiter zu geben.
„Ja und“ sagte diese, „was überlegst Du noch lange, trau Dich endlich und zeig mal deinem langweiligen Gustav, dass du noch lebst. Der nimmt dich doch nach all den Jahren überhaupt nicht mehr wahr!“
„Wie kannst Du nur so reden“, antwortete Trude entsetzt.
„Stimmt doch aber, also schreite endlich zur Tat!“ antwortete ihr Lene. „Ich biete mich dir sogar als Alibi an.“
Eigentlich hatte Leni ja recht, überlegte Trude. Seit Gustav in Rente war, lief alles immer gleich ab, Woche für Woche. Montags Stammtisch, Samstags Einkauf auf dem Wochenmarkt und dazwischen Hobbyraum und abends Fernsehen. Lag er im Bett, drehte er sich auf die Seite und schlief ganz schnell ein. Dann allerdings kam sich Trude vor, als würde sie neben einem Sägewerk schlafen – beziehungsweise wachen.
Pünktlich um 19 Uhr parkte Trude das Auto vor dem Hotel Adler. Marc erwartete sie schon. Was war er doch für eine imposante Erscheinung in dem feinen Anzug mit passendem Hemd und Krawatte. „Schick sehen Sie aus“, empfing er sie und bot ihr galant den Arm. „Die Frisur passt wunderbar zu Ihrem Kleid“.
Trude errötete fast bei seinen Worten. Natürlich war sie nachmittags noch beim Friseur gewesen und hatte das Kleid in einer Boutique erstanden. Der Ober führte die beiden an einen Tisch und Trude kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. So fein und elegant hatte sie noch nie gespeist. Vor dem köstlichen Essen bestellte Marc Champagner und sah ihr beim Zuprosten tief in die Augen. Er war ein wunderbarer Unterhalter und Trude schmolz förmlich dahin. Als Andenken an den schönen Abend überreichte er ihr zum Abschied eine rote Rose.
Plötzlich: ein Geräusch – irgendwie kam es Trude bekannt vor – es wurde immer lauter und Trude schreckte auf – es war der Wecker!!! Sie hatte dieses schöne Erlebnis nur geträumt und neben ihr lag friedlich und leise schlummernd ihr Gustav.