„Das Alter ist eine Stufe unseres Lebens und hat wie alle anderen Lebensstufen ein eigenes Gesicht. Um als alter Mensch seinen Sinn zu erfüllen und seinen Aufgaben gerecht zu werden, muss man mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss Ja dazu sagen.
Jeder weiß, dass das Alter Beschwerden mit sich bringt. Man muss Opfer bringen und Verzichte leisten. Der Weg, der vor kurzem noch ein kleines Spaziergängchen war, wird lang und mühsam. Freuden und Genüsse werden seltener und müssen immer teurer bezahlt werden.
Aber ärmlich und traurig wäre es, sich dem Prozess des Alterns hinzugeben und nicht zu sehen, dass auch das Alter sein Gutes, seine Vorzüge und Freuden hat. Ich denke daran, dass die Älteren Quellen der Kraft, der Geduld und der Freude kennen, die im Leben der Jungen keine Rolle spielen.
Die mir teuerste dieser Gaben ist der Schatz an Bildern, die man nach einem langen Leben im Gedächtnis trägt und denen man sich mit dem Schwinden der Aktivität mit ganz anderer Teilnahme zuwendet als jemals zuvor. Menschengestalten und Gesichter von Menschen, die vielleicht nicht mehr auf der Erde sind, leben in uns weiter, gehören zu uns, leisten uns Gesellschaft, blicken uns aus lebenden Augen an. Häuser, Gärten und Städte, die inzwischen verschwunden oder völlig verändert sind, sehen wir unversehrt wie einst und ferne Gebirge und Meeresküsten, die wir vor Jahrzehnten auf Reisen gesehen, finden wir frisch und farbig in unserem Bilderbuch der Erinnerung wieder. Von Wünschen, Träumen, Leidenschaften gejagt sind wir, wie die Mehrzahl der Menschen, durch die Jahre und Jahrzehnte unseres Lebens gestürmt, ungeduldig, gespannt, erwartungsvoll – und heute, im großen Bilderbuch unseres eigenen Lebens blätternd, wundern wir uns darüber, wie schön und gut es sein kann, jener Jagd und Hetze entronnen und in ruhigere Fahrwasser gelangt zu sein.
Begegnen wir der Jugend mit der Überlegenheit ihrer Kraft und Ahnungslosigkeit, kommen wir uns nicht unterlegen und besiegt vor, sondern freuen uns darüber, dass wir dieser Lebensstufe entwachsen und ein klein wenig klüger und duldsamer geworden sind.“