Ich war vielleicht ein Mädchen von zehn oder elf Jahren. Damals schon etwas pummelig. Zu dieser Zeit, kurz nach dem 2. Weltkrieg , gab es keine großen Geschäfte oder Kaufhäuser in unserer benachbarten Stadt, um fertige Kleider für meine Figur, geschweige überhaupt fertige Konfektion kaufen zu können. Da blieb nichts anderes übrig, als die benötigten Kleider bei einer Schneiderin anfertigen zu lassen. So auch für mich.
Meine Mutter meinte, ich bräuchte mal wieder ein Kleid für besondere Anlässe, und in diesem Fall für eine Einladung zur Kommunionfeier einer Cousine und im Anschluss als sogenanntes Sonntagskleid. Gesagt – getan. Dafür suchte sie bei der Schneiderin einen Stoff aus. Aber … was ich besonders schlimm empfand, ich hatte keinerlei Mitspracherecht auf Farbe, Beschaffenheit und Ausarbeiten des Stoffes. So entstand letztendlich ein Kleid aus rostfarbenem Stoff. Gerade fallend bis zum Po und von dort aus in kleine Falten gelegt bis zur endgültigen Länge. Das Kleid hatte einen Bubikragen in Weiß und eine lange Knopfleiste vorne. Für die Knöpfe waren Schlingen aus dem gleichen Stoff eingearbeitet und auch die dazu gehörigen Knöpfe waren mit diesem Stoff bezogen. Die Arme gingen bis an die Ellbogen. Mir gefiel es von Anfang an nicht, ich fand es furchtbar altmodisch. Aber meiner Mutter gefiel es. Deshalb musste ich es zu allen guten Anlässen tragen. Weigern kam nicht in Frage. Je öfter ich es anziehen musste, desto mehr hasste ich es.
Was mich allerdings bewogen hat es anzuziehen um mich mit meinen Freunden zu treffen, das weiß ich bis heute nicht. Da meine Eltern ganztags arbeiten mussten und meine Oma damals krank war und im Bett lag, konnte ich ohne Schwierigkeit meine Freiheit genießen. An einem Wochentag im Herbst trafen wir uns, das waren ungefähr sieben Kinder aus unserer Nachbarschaft, auf einem Feld in der unmittelbaren Nähe unseres Hauses. Nicht einsehbar von allen Seiten. Da kam ein Junge aus unserer Gruppe auf die glorreiche Idee, wir könnten ja Feuer machen und dann in der Glut Kartoffeln braten, so wie es damals überall üblich war nach der Kartoffelernte. Jede Familie hatte damals in ihrem Keller Kartoffeln gelagert. Ein günstiges, aber nahrhaftes Nahrungsmittel in der Nachkriegszeit.
Wir entfachten also ein Feuer, das Feuerholz war schnell in der Nähe gesammelt worden, jetzt wollte man die benötigten Kartoffeln besorgen. Alle meine Freunde liefen los, um sie zu holen. Ich wurde dazu verdonnert, auf das Feuer aufzupassen.
Seitlich von mir war das Feuerholz aufgestapelt, so dass ich mich nur umdrehen musste, um neues Holz zum Nachlegen zu holen. Langsam brannte das Feuer runter. Während dieser Zeit, machte sich ein Gedanke in mir breit. Was mache ich denn jetzt? Würden mir die anderen von ihren Kartoffeln was abgeben? Sicher war das nicht, und ich hätte dann nichts zu essen. Ein schlimmer Gedanke.
Jedenfalls reifte in mir der Gedanke, wenn ich jetzt genügend Holz auflege, kann ich ganz schnell zu Hause sein, um auch Kartoffeln zu holen. Wenn ich schnell genug war, würden es die anderen gar nicht bemerken.
Also drehte ich mich zu dem Holzstapel, ergriff einen Arm voll Feuerholz und legte es auf das Feuer. Dann machte ich mich auf den Weg, etwa hundert Meter bis zu unserem Haus, hatte aber nicht bemerkt, dass beim Umdrehen mein Kleid im Feuer hing und anfing zu brennen.
Als ich durch unsere Straße lief, riefen die Leute etwas zu und machten mir Handzeichen und deuteten auf mich. Da ich Angst hatte, sie hätten das Feuer bemerkt und wollten mich deshalb zur Rede stellen, lief ich immer schneller und stand innerhalb kurzer Zeit schwer atmend vor unserem Haustor. Ich öffnete es, ohne mich umzudrehen und stürzte regelrecht in unseren Hof.
Dort angekommen, bemerkte ich, wie es mir sehr heiß am Hintern wurde. Ich riss das Kleid runter und da sah ich die Bescherung. Das Feuer hatte sich schon bis zur Taille hochgearbeitet und am Kleid klaffte hinten ein riesiges Loch. Jetzt konnte ich auch die Zeichen der Passanten deuten. Sie wollten mich auf das Feuer aufmerksam machen.
Da meine Oma gehört hatte, dass ich gekommen war, sie aber im Bett lag und mich nicht sehen konnte, fragte sie, was los sei. Meine Antwort: „ Nichts Besonderes, ich muss nur zur Toilette.“ Meine Oma akzeptierte meine Antwort, ohne groß nachzufragen. Doch der Schreck saß mir in allen Gliedern, ich musste mich umziehen und was würde passieren, wenn meine Mutter das Kleid zu Gesicht bekäme? Sie fand es so toll, und es war teuer gewesen. Das wurde mir von ihr ständig unter die Nase gerieben. Eines wusste ich dennoch mit großer Bestimmtheit. Es würde Schläge geben.
Erst rannte ich zum Kleiderschrank und holte mir die Bekleidung für wochentags raus. Niemand würde es bemerken. Wie aber kam ich aus dieser verzwackten Situation ohne größere Blessuren heraus? Meine Mutter würde schreien und toben. Ohne lange zu überlegen, knüllte ich das Kleid ganz klein zusammen und stopfte es durch ein loses Brett im Kleiderschrank nach ganz hinten in der Hoffnung, meine Eltern würden nichts bemerken.
Im Nachhinein hatte ich für mich die beste Entscheidung getroffen. Meine Mutter suchte das Kleid zwar lange Zeit und war ratlos, wo es sein könnte, aber ich stellte mich ganz ahnungslos. Schließlich war sie es ja, die es weggeräumt hatte am Sonntag. Irgendwann war das Kleid Geschichte und ich konnte aufatmen. Zwar hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, aber dennoch war es für mich wie ein Befreiungsschlag, ich musste dieses mir so verhasste Kleid nie mehr anziehen.